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Adventskalender Türchen 10


Ein Pfotenschlag – und der Ball machte einen Sprung in die Luft, sprang einen Meter weiter wieder auf und rollte. Eliza wartete noch einen Moment ab, sie kauerte sich zusammen, ihre Pfoten trippelten, der Körper wie ein Bogen gespannt. Und dann rannte sie los. „Ich krieg dich, warte nur!“ Im Galopp lief sie durch das Gehege, ihren Ball im Visier. Freude legte sich auf ihr zierliches Gesicht. Und dann das: Der Ball sprang gegen das Gitter und kullerte zu ihr zurück. Eliza bremste jäh ab. Sie stand vor dem Gitter, dem Zaun des Geheges, neben sich ein kleiner Holzstamm, vor ihrer Pfote der Ball. Der Himmel über ihr war grau. Keine Sonne, keine Wärme, die sich auf ihr Fell legen wollte. Und nun noch nicht mal der dumme Ball, der mit ihr spielen wollte. Sie blickte zu den anderen Katzen. So wirklich hatte sie sich noch nicht an sie gewöhnt. Nicht so, wie an die Menschen. Oh, wenn die kamen, ja dann war sie eine der ersten, die sich ihnen um die Beine schlang, die mit ihren Augen versuchte, Hände zu Streicheleinheiten zu beschwören, das Herz des Menschen für eine der herrlichen Leckereien um ihre Pfote zu wickeln. Und das konnte sie gut. Aber jetzt, jetzt war niemand der Menschen hier. Eliza wendete ihren Blick von den anderen Katzen ab. Der Gitterzaun. Und dahinter? Man hatte ihr erzählt, dass dahinter eine Welt lag, in denen Katzen ein Zuhause hatten, mit Menschen, die sich um sie kümmerten. Eine Welt, in der es Plätzchen an der warmen Heizung gab. Eine Welt, in der es Liebe für Katzen wie sie gab. Doch Eliza kannte diese Welt nicht. Ihre war grau. So grau wie ihr Leben. So grau wie ihr Fell.

 

Moment. Was war das? Das ist doch... könnte das... Eliza wurde aufgeregt. Dieses Funkeln, dieses Flirren in der Luft... man hatte ihr auch davon erzählt. Könnte es wirklich sein, dass... Oh, was wäre das schön.

Als Anela und Lyra sich auf ihrer Nasenspitze niederließen, mussten sie lachen. Eliza schielte ganz herrlich, um die beiden Weihnachtselfen zu betrachten. „Warte einen Moment.“ Anela flog auf den Baumstamm, Lyra tat es ihr gleich. „Wir sind“, hob Anela an, doch weiter kam sie nicht. „Sag es nicht, sag es nicht... ich weiß es: Ihr seid die Weihnachtselfen. Die, die zu Anas Katzen kommen, zu Katzen, die ein Zuhause suchen. Stimmt's? Stimmt's?“ Anela und Lyra grinsten. „Ja, das...“ Aber auch jetzt ließ Eliza sie nicht zu Wort kommen. „Oh man, das ist ein Ding“, mit einem Freudenkreischen sprang sie auf, machte einen Luftsprung und drehte sich im Kreis. Bis ihre Pfote den bis dato vor ihr liegenden Ball traf. Lyra zog den Kopf ein, doch sie spürte noch den Luftzug des Geschosses. „Oh man, das war knapp“, atmete sie tief durch. „Oh... oh weh... das tut mir leid.“ Eliza setzte sich betroffen vor den Baumstamm und ließ den Kopf hängen. „Jetzt hab ich's wohl vermasselt, oder? Dabei hätte ich euch so gerne meine Geschichte erzählt. Aber die wollt ihr jetzt bestimmt nicht mehr hören. Oh, ich Trampel.“ Eliza begann zu wimmern.

 

„Eliza?“ Sie hörte die zarte Stimme Anelas an ihrem Ohr. Als Eliza sich ihr zuwendete, sah sie beide Elfen noch immer auf dem Baumstamm sitzen. „Du wolltest doch erzählen“, ermunterte sie Lyra. Eliza war sofort Feuer und Flamme. „Ja, wisst ihr, das war so...“ Und dann begann Eliza zu erzählen. Von dem Leben auf der Straße, davon, dass sie sich irgendwann an einem ganz anderen Ort wiederfand. Als sie sich daran erinnerte, begann sie zu zittern und ihre Stimme wurde leise. Es war ein Ort mit vielen Tieren, der gefüllt war von Schreien der Wut und Traurigkeit. Sie erzählte von dem Blick in sterbende Augen an diesem Ort, an die Resignation der Katzen, die eine nach der anderen verschwanden. „Sie kamen nie zurück“, flüsterte Eliza. Ihr Blick war nicht mehr bei Anela und Lyra, er war in die Ferne gewandert, weit weg an jenen Ort, den die Menschen, wie sie später hörte, Perrera nannten. Die zwei Weihnachtselfen schauten sich betroffen an. Sie wussten, wie viele Katzen dort ihr Leben verloren – und womöglich hatte auch schon Eliza auf der Todesliste gestanden. Anela legte sanft ihre Hand auf Elizas Nase: „Du hattest Glück, Eliza. Du bist jetzt bei Ana.“ Eliza schreckte bei der Berührung auf. Ja, Anela hatte recht. Sie hatte Glück gehabt. Und sie fühlte sich fast schuldig, als sie fragte: „Darf ich mir bei so viel Glück überhaupt noch mehr wünschen? Eine Familie, die mich liebt? Ein Platz auf einem Schoß zum Einkuscheln?“ „Aber natürlich darfst du das“, versuchte Lyra Eliza, die sie so traurig ansah, aufzumuntern. „Das wird auch so sein. Ganz bestimmt“, bekräftigte Anela.

 

Als sich die Weihnachtselfen von ihr verabschiedeten, war Eliza fast soweit, ihren Beteuerungen zu glauben, hatte sich freudig aufgerichtet - und dann fiel es ihr wieder ein. Sie war grau. Eine graue Maus. Kein langes Fell, keine stechend blauen Augen. Keine Schönheit, wie es sie hier in Andalusien vergleichsweise oft  gab. Sie war eine unter vielen. Nichts Besonderes. Eliza erhob sich. Ging noch einen Schritt näher zum Gitterzaun, setzte sich und späte in die Weite, in der noch das Glitzern der Weihnachtselfen zu sehen war. „Vielleicht ja doch. Vielleicht im nächsten Jahr“, flüsterte Eliza. Sie flüsterte es hinaus in den grauen Himmel; dahin, wo ihre Menschen sie vielleicht hörten; dahin, wo die Liebe auf sie wartete.

 

 


Elizas Weihnachtswunsch

Ihr werdet es kaum glauben, aber ich wünsche mir Bällchen und Mäuse für die anderen und mich. Spielen ist nämlich sooooo toll und vertreibt eine Zeit lang Kummer und Sorgen.

 

3,99 €

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