Poporo konnte sich nicht entscheiden – faszinierend
schön oder einzigartig kreischend? Er ließ die Kralle wieder über die Stäbe fahren, um den hellen Ton zu hören. Wie ein Glöckchen. Ein sehr helles Glöckchen. Bis vor kurzem hatte er gar nicht
gewusst, was ein Glöckchen ist. Der Kater, der nebenan kurzzeitig „gewohnt“ hatte, hatte ihm davon erzählt. Angeblich gab es Katzen, die sowas um den Hals trugen. Poporo schüttelte sich. Er
ließ die ganze Pfote statt nur die einzelne Kralle über die Stäbe fahren, ließ sie fallen und legte seinen Kopf auf den Boden. Wie lang er hier wohl noch drin bleiben musste. Es war öde. Öde,
öde, öde. Den ganzen Tag sah er nichts als Stäbe vor sich. Quarantäne hatte Ana das genannt. Hier war er schon, als er zu Ana gekommen war. Damals hatte er noch gedacht „Gott sei Dank“.
Immerhin kam er aus einer Gegend, die nicht alle Katzen unverletzt hinter sich ließen. Da war doch erst dieser... ach, wie hieß er... Orion, ja, das war der Name. Der war von Kindern als
Fußball benutzt worden. Nicht auszudenken, wenn ihm das auch passiert wäre. Und so war Poporo glücklich gewesen, dass er zu Ana kommen durfte. Hier waren nur freundliche Menschen. Menschen
war er schon hinterher gelaufen, als er noch auf der Straße gelebt hatte, ohne allerdings zu wissen, dass es auch die gab, die gemein waren. Die Zweibeiner hier bei Ana, die waren alle nett.
Und er musste sich keine Sorgen mehr machen. Eigentlich. Seine Pfote haute gegen die Stäbe. Tiefe Glocke. Ganz tiefe Glocke. Das Gitter nervte ihn. Er war immerhin ein stolzer Kater. Ein
lieber, aber halt stolzer Kater. Und den ganzen Tag in einer Gitterbox zu sitzen, das war einfach nichts für ihn. Er wollte gerade wieder die Kralle
zücken, als sich ein Strahl zeigte. Was Neues. Seine schläfrigen Augen wurden wach. Was war das? Zweibeiner konnte er nicht erkennen, als sich aus dem Strahl ein Funkeln, ein Flimmern
herausbildete, gefolgt von einem Licht, das er noch nie gesehen hatte. Und dann standen sie da. Zwei echt winzige Zweibeiner. Poporo setzte sich auf. Reckte die Nase zu den zwei superkleinen
Wesen, schnüffelte – und ließ seine kleine Zunge hervorschnellen. Vielleicht schmeckte das? „Iiiiieh!“ Entsetzt fuhr Poporo zurück. Es ging also noch heller als der Glockenklang seiner
Kralle. Das kleine Wesen gab einen drolligen Laut von sich. „Gesundheit Lyra“, sagte das andere. Und dann schaute es in Poporos Augen. „Du hast sie zum Niesen gebracht“, gluckste es. „Und wer
ist... sie?“ Poporo schaute neugierig von einem zum anderen. „Das ist Lyra. Und ich bin Anela. Wir sind Weihnachtselfen.“ Poporo zog die Augen weit auf. „Elfen?“ „Weihnachtselfen, ja“,
antwortete Anela. „Und du bist?“ Der Kater fing sich in seiner Überraschung. „Wie unhöflich, gestatten, Poporo, gelangweilter wie stolzer Kater mit Kajalaugen“, sagte er dann, ließ seinen
weißen Latz im getigerten Pelz leicht nach unten sinken und seine Augen zweimal blinzeln. Anela und Lyra fiel der schwarze Strich auf, der sich rund um die Katzenaugen spann. Das war
unglaublich hübsch, waren sie sich einig. Poporo konnte derweil das Staunen kaum abstellen. Anela und Lyra merkten, dass sie ihm ein wenig auf die Sprünge helfen mussten, um seine Zunge zu
lockern. Also legte Lyra los: „Wir besuchen Anas Katzen. Wir wollen euch helfen ein Zuhause zu finden. Und jetzt, Poporo, jetzt bist du dran. Erzähl uns von dir, damit wir deine Geschichte
erzählen können.“ „Ein Zuhause? Das wäre schön.“ Poporo zögerte, legte sich wieder auf den Boden seines Käfigs, ließ die eine Pfote über die andere gleiten, ehe er darauf seinen Kopf ablegte.
Die zwei Elfen waren nun genau vor seiner Nase. „Ein Zuhause. Viele haben das schon gefunden, nicht wahr?“ „Oh ja, sehr viele“, bestätigte Anela. Aber sie spürte, dass Proporo nicht viel
Hoffnung hatte. Und dann er zählte er, warum. „Ich schaffe es kaum raus aus der Quarantäne, da bin ich schon wieder drin. Erst musste ich aufgenommen werden, jetzt will mein Darm nicht so
richtig. Und damit ich das richtige Futter und Medikamente bekomme, hocke ich jetzt wieder hinter diesen... doofen Stäben.“ Sein Blick schien durch das Gitter und die nächsten Wände zu
gleiten. „Dabei wäre ich gerne bei den anderen. Ich bin nämlich echt ein netter Typ. Vor allem Katzen haben es mir angetan. Da bin ich eine echte Gentlecat. Aber hier eingesperrt ...“,
seufzte Poporo. „Aber du bekommst Medikamente, also wird es dir doch bald wieder gutgehen und dann kannst du ...“, versuchte Anely den Kater aufzumuntern. Doch Poporo unterbrach sie. „Das ist
noch nicht alles. Ich habe eine Krankheit. FIV.“ Anela und Lyra sahen sich betroffen an. „Seht ihr, genau das ist es. Alle sind betroffen. Alle denken, einen kranken Kater, den will ich
nicht. Dabei kann es mir genauso gut gehen, wie anderen.“ Poporo schaute sie aus seinen herrlich schwarz umrandeten Augen an. „Ich will kein Mitleid und keine Betroffenheit. Erzählt den
Menschen lieber, dass sie keine Angst vor einer Krankheit haben müssen. Ich kann ein langes Leben haben. Wirklich. Und wenn ihr es schafft, den Menschen das zu erzählen, vielleicht finde ich
dann mein Zuhause.“ Und komme endlich raus aus diesem Käfig, setzte er in seinen Gedanken dazu. Die beiden Weihnachtselfen sahen ihn an – und lächelten. „Versprochen Poporo.“ Mit einem Gruß
lösten sie sich auf, zurück in das funkelnde Flimmern, zurück in den Sternenstrahl. Poporo legte sich auf die Seite. Vielleicht würden es die zwei Elfen ja schaffen, seine Menschen für ihn zu
finden. Und er hatte schließlich nicht gelogen. Nur weil er FIV hatte, war er keinem frühen Tod geweiht. Als entspannter Typ, der er war, in einem schönen Zuhause, mit einer tollen
Katzendame, mit der er schmusen und genießen konnte, da würde er alt werden können. Und selbst wenn nicht, wenn ihn irgendwann die Krankheit einholen, sie ausbrechen würde: Dann hätte er
zumindest ein schönes Leben gehabt, mit Gesellschaft von Zwei- und Vierbeinern, die er beide so sehr mochte. Vor allem hätte er nicht nur in der Gitterbox gelebt. Poporo spitzte seine Kralle
und ließ sie erneut die Stäbe runterrattern. Eindeutig helles Glöckchen. Wie es wohl in echt klang?
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